- Rumänien: Der Sturz der Diktatur
- Rumänien: Der Sturz der DiktaturVorgeschichte: Die bedrückenden Jahre der Ära CeauÇescuRumäniens Diktator Nicolae CeauÇescu war im Westen wegen seiner von Moskau vergleichsweise unabhängigen Außenpolitik bis in die Jahre der Perestroika ein angesehener Staatsmann. So hatten sich 1968 die rumänischen Truppen nicht an der militärischen Intervention in der ČSSR beteiligt. Doch solche Zeichen der »Öffnung« waren trügerisch. CeauÇescu betrieb innenpolitisch einen harten Kurs und nach dem Vorbild Stalins einen forcierten Ausbau der Schwerindustrie. Da der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) diese Politik nicht unterstützen wollte, wandte sich der KP-Chef an Kreditgeber im westlichen Ausland. Die schnelle Transformation der rumänischen Agrargesellschaft zu einem modernen Industriestaat gelang freilich nicht. Die Erfolge standen nur auf dem Papier. Obwohl viele neue Industriebetriebe entstanden, kam die Volkswirtschaft nicht so recht voran, da die Produkte auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig waren. Der bevorzugte Ausbau der chemischen Industrie erwies sich nach der Ölkrise der 1970er-Jahre als Fehlinvestition. 1982 war Rumänien zahlungsunfähig, musste um eine Umschuldung nachsuchen und den Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nachkommen. Um die westlichen Kredite zurückzahlen zu können, setzte die Regierung rigorose Sparmaßnahmen durch. Das bedeutete radikalen Konsumverzicht für die Bevölkerung und eine Belastung der gesamten Volkswirtschaft. In den 80er-Jahren bestimmten Lebensmittelkarten den Alltag. Jede Familie erhielt monatlich nur eine begrenzte Menge an Brot, Zucker, Mehl und Öl. Die Versorgung der Wohnungen mit Licht und Gas wurde auf ein Minimum gedrosselt.Zu den starken Einbußen an Lebensqualität kam für die Bevölkerung auch der Verzicht auf jedwede Form der freien Meinungsäußerung. Die Einfuhr der Presse aus den sozialistischen Reformländern wurde unterbunden, Radiosendungen ließ man stören. Nur in den Kreisen der ungarischen Minderheit, mit einem Anteil von damals acht Prozent an der Gesamtbevölkerung die größte des Landes, zirkulierten kurzzeitig illegale Publikationen. Doch die Geheimpolizei Securitate konnte deren Autoren bald dingfest machen. Nennenswerte Unruhen ereigneten sich im November 1987. In Kronstadt (BraÇov, Siebenbürgen) kam es zu einer spontanen Revolte von Arbeitern. Als sie geschlossen zur Wahl des Einheitskandidaten für den Stadtrat geführt wurden, plünderten sie unterwegs die mit Luxuswaren ausgestattete Parteikantine und besetzten danach das Rathaus. Das Innenministerium zog daraufhin aus der Umgebung Truppen zusammen, die die Revolte im Keim erstickten. CeauÇescu hatte sich im Laufe seiner Herrschaft zu immer aberwitzigeren Großprojekten verstiegen, mit denen er sich ein Denkmal setzen wollte. So ließ er in Bukarest mehrere Stadtviertel niederreißen, um den monumentalen Palast der Republik zu bauen. Am härtesten traf die Bevölkerung das Systematisierungsprogramm, wonach die Einebnung von etwa 7000 Dörfern zur Gewinnung von Grund und Boden für die Landwirtschaft vorgesehen war. 1988 begann die Zwangsumsiedlung der Bauern in Wohnblocks der Agroindustriellen Zentren. Die Betroffenen verloren nicht nur ihren vertrauten Lebensraum in der dörflichen Gemeinschaft, sondern konnten nun auch keine Eigenwirtschaft mehr betreiben. Im Rahmen dieses Programms sollten auch viele Dörfer der nationalen Minderheiten verschwinden. Doch insbesondere die ungarische Minderheit wehrte sich vehement gegen eine Politik, die ihre kulturelle Identität zu zerstören drohte. Sie bekam Unterstützung aus dem benachbarten Ungarn, wo im Juni 1988 vor der rumänischen Botschaft in Budapest 40000 Menschen protestierten. Dies war seit 1956 die erste nicht vom Staat organisierte Großveranstaltung; sie machte die Spannungen innerhalb des sozialistischen Lagers deutlich.Der XIV. Parteikongress der rumänischen KP verlief wie üblich als Akklamationsveranstaltung des »großen Führers« (Conducator). Doch erstmals mel- dete sich nun auch eine innerparteiliche Oppositionsgruppe zu Wort und erließ einen nicht namentlich gezeichneten »Appell zur Rettung der Nation«. Darin verlangte sie die Absetzung CeauÇescus, dem allein die Fehlentscheidungen in der Wirtschaft angelastet wurden. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung hatte inzwischen deutlich zugenommen, auch angefacht durch die Geschehnisse in den Nachbarländern.Zu den ersten, die in diesem Spätherbst auf die Straße gingen, zählten Gläubige der reformierten Gemeinde aus Temesvar (TimiÇoara) im Banat. Der der ungarischen Volksgruppe angehörende Pfarrer László Tökés sollte zwangsversetzt werden, weil er bei einem Besuch in Ungarn öffentlich die Einschränkungen der Glaubensfreiheit in Rumänien kritisiert hatte. Um das Pfarrhaus versammelten sich seit dem 15. Dezember 1989 einige Gläubige, die sich von der Polizei nicht vertreiben ließen und ihre Sympathie mit dem Regimekritiker bekundeten. Am darauf folgenden Tag schwoll diese Ansammlung zu einer Demonstration an, bei der erstmalig Losungen wie »Weg mit CeauÇescu « und »Freiheit« zu hören waren.Am Nachmittag des übernächsten Tages erteilte CeauÇescu den Befehl, von den Schusswaffen Gebrauch zu machen. Viele Soldaten zögerten; sie wollten nicht auf wehrlose Kinder, Jugendliche und Frauen schießen. Doch im Rückraum wurden Kräfte der Geheimpolizei Securitate postiert, um die Befehlsausführung zu überwachen. Panzerfahrzeuge fuhren auf und schossen wahllos in die umliegenden Wohnhäuser, nachdem Demonstranten vorübergehend zwei Militärfahrzeuge durch Barrikaden festgesetzt hatten. Wie viele Menschen bei diesem Aufruhr in Temesvar ums Leben kamen, ist nicht restlos geklärt. Damals war von mehreren tausend Opfern die Rede, heute geht man von 71 Toten aus. Die zumeist jugendlichen Demonstranten setzten mutig Molotowcocktails und Steine gegen die Panzerfahrzeuge ein. Inzwischen hatte sich das Gerücht verbreitet, CeauÇescu sei außer Landes geflohen. Tatsächlich war der Diktator lediglich zu einer planmäßigen Reise nach Teheran aufgebrochen. An ein striktes Befehlssystem gewöhnt, reagierten die Partei- und Militärführer in diesen Tagen seiner Abwesenheit unentschlossen. Seit dem 18. Dezember griffen die Unruhen auf andere Städte des Landes über. Auch dort setzten sich die Sicherheitskräfte mit Waffengewalt durch. Besonders brutal gingen Armeeeinheiten und Truppen des Innenministeriums in Hermannstadt (Sibiu) vor, wo CeauÇescus Sohn Nicu Parteisekretär war.Währenddessen wurden in den Betrieben im Landesinneren die Patriotischen Garden mobilisiert und nach Temesvar geschickt. Noch bevor sie dort eingesetzt werden konnten, holte die Temesvarer Bevölkerung sie aus den Zugabteilen und klärte sie über die wahre Lage auf. Am 19. Dezember begann in Temesvar ein Generalstreik. Die Demonstranten forderten nun auch freie Wahlen. Aufgrund ihres Drucks wurden am 20. Dezember die Verhafteten der letzten Tage freigelassen. CeauÇescu war bei seiner Rückkehr am selben Tag außer sich über die Entwicklung und bezichtigte einige seiner Mitarbeiter des » Verrats«. In einer Fernsehansprache behauptete er, dass in Temesvar »ungarische Faschisten« und »Hooligans« ihr Unwesen trieben, die zusammen mit »reaktionären, imperialistischen und chauvinistischen Kreisen sowie mit Spionagediensten verschiedener fremder Staaten« agierten.Sturz und Hinrichtung des DiktatorsTags darauf berief CeauÇescu in Verkennung der Lage eine Großkundgebung Bukarester Werktätiger ein. Kurz nachdem er zu reden begonnen hatte, geschah etwas bis dahin Unvorstellbares: Zwischenrufe und Pfiffe wurden laut. Als Schüsse zu hören waren, liefen die Teilnehmer der Kundgebung in Panik auseinander, denn sie hatten zuvor über ausländische Radiosender von den Toten aus Temesvar erfahren. So verhallten CeauÇescus Versprechungen von Lohnerhöhungen vor einem bescheidenen Häufchen von Mitarbeitern der Geheimpolizei Securitate. Am Abend des 21. Dezember versammelten sich erstmalig auch in Bukarest Demonstranten, die CeauÇescus Rücktritt forderten. Auch in der Hauptstadt wurden Panzerfahrzeuge eingesetzt; regimetreue Einheiten machten brutalen Gebrauch von ihren Schusswaffen und richteten auf dem Universitätsplatz ein nächtliches Massaker an.Am 22. Dezember wurde Verteidigungsminister Vasile Milea erschossen aufgefunden und im Radio sein »Selbstmord« gemeldet. Angeblich sollte er den Rückzug der bewaffneten Einheiten in die Kasernen befohlen haben. Durch seinen Tod griff in der Armee Verunsicherung um sich. Viele Soldaten ließen sich von den Demonstranten entwaffnen. Am Morgen dieses Tages waren zu Beginn der Frühschicht Tausende von Arbeitern spontan aus ihren Betrieben vor das Gebäude des Zentralkomitees gezogen. Als die ersten in das Gebäude eindrangen, flüchteten CeauÇescu und seine Ehefrau Elena mit einem Hubschrauber vom Dach aus. Sie kamen aber nur bis zu einer Garnison im Landesinneren und wurden wenige Stunden später verhaftet. Inzwischen entfaltete sich der Aufstand in Bukarest und anderen Städten. Die Aufständischen brachten den rumänischen Rundfunk in ihre Gewalt. Derweil besetzte eine Riege älterer Männer im Gebäude des Zentralkomitees die Schalthebel der Macht. Neuer starker Mann war der seit einigen Jahren bei CeauÇescu in Ungnade gefallene ehemalige Parteifunktionär Ion Iliescu.Zur Mittagsstunde des 22. Dezember trat im Studio des rumänischen Fernsehens der Schriftsteller und Bürgerrechtler Mircea Dinescu vor die Kameras und proklamierte den Sieg der rumänischen Revolution. Als Generalstabschef Ştefan GuÇe dann am Nachmittag erklärte, die Armee stehe »auf der Seite des Volkes«, war die Machtfrage zugunsten der Gegner CeauÇescus entschieden. Doch die Securitate lieferte der Armee noch tagelang heftigen Widerstand. Ihre Einheiten verschanzten sich zum Teil in den unterirdischen Kanälen der Hauptstadt und betätigten sich als Heckenschützen. Ihr Widerstand war erst gebrochen, als das rumänische Fernsehen am 26. Dezember Bilder des erschossenen Diktators und seiner Ehefrau Elena ausstrahlte. Ein anonymes Sondergericht hatte den beiden tags zuvor in einem Schnellverfahren den Prozess gemacht und sie zum Tode verurteilt. Unmittelbar darauf wurden sie hingerichtet. Man lastete den CeauÇescus vor allem den Schießbefehl vom 17. Dezember gegen die Demonstranten in Temesvar an.Iliescu, Nutznießer des AufstandsNach der Hinrichtung des Diktators bildete sich eine provisorische Regierung (Rat der Front der Nationalen Rettung), die Iliescu zum Staatspräsidenten ernannte. Der Rat verkündete die Auflösung der Kommunistischen Partei, die Einstellung des Systematisierungsprogramms und das Ende der Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft. Durch Hilfslieferungen aus dem westlichen Ausland konnte die Versorgung in den Städten verbessert werden; auch die Sowjetunion war nun sofort zu größeren Energielieferungen bereit. Auf diese Weise festigte die neue Führungsspitze schnell ihre Position. Im Januar 1990 ließ Iliescu verlauten, dass in Rumänien kein Mehrparteiensystem entstehen sollte, das passe nicht zu den historischen Traditionen des Landes. Die Front der Nationalen Rettung, der inzwischen hauptsächlich ehemalige kommunistische Funktionäre angehörten, wollte sich selbst als neue Einheitsorganisation zur Wahl stellen. Diese Ankündigung stiftete erhebliche Unruhe unter all denjenigen, die sich gerade in neuen Parteien sammeln wollten. Ende Januar 1990 holten die neuen Machthaber über 5000 Bergarbeiter nach Bukarest, um die Stärke ihrer Basis zu demonstrieren. Unter die Bergarbeiter waren schon seit langem viele Mitarbeiter der Securitate eingeschleust worden. Diese erklärten nun den Arbeitern, dass mit dem Mehrparteiensystem auch der Kapitalismus und mit ihm die Arbeitslosigkeit Einzug halten werde.Doch Iliescu wusste, dass Rumänien von den Hilfslieferungen aus dem westlichen Ausland abhängig war und lenkte ein. So wurden in die provisorische Regierung auch Vertreter der neuen Parteien aufgenommen. Der Rat arbeitete das Wahlgesetz für die ersten freien Wahlen aus, deren Termin auf den 20. Mai 1990 festgesetzt wurde. Das Gesetz legte fest, dass zur Registrierung einer Partei 251 Unterschriften ausreichten und der erste Wahlkampf finanziert würde. So entstanden über 200 neue Parteien mit teilweise völlig absurden Forderungen. Sie alle beanspruchten Redezeit im Fernsehen, wodurch ein Überblick über ihre Programme nahezu unmöglich wurde.Neue ethnische Konflikte — und Iliescus »Lektion in Demokratie«Flüchtig betrachtet schien es im Frühjahr 1990 so, als ob sich die neuen Machthaber damit abgefunden hätten, ihren Einfluss mit anderen gesellschaftlichen Kräften zu teilen. Doch schon bald zeigte sich, dass sie dazu nicht bereit waren. Der erste blutige Konflikt fand in der Stadt Neumarkt (Târgu MureÇ, Siebenbürgen) statt. Diese Stadt war vor 1968 Zentrum der autonomen Region der ungarischen Minderheit. Durch die Industrialisierung der Region und die Diskriminierung der Ungarn in der Ära CeauÇescu war deren Anteil von (1956) 74 Prozent auf 50 Prozent zurückgegangen. Ihre Vertreter versuchten Anfang 1990 die Kulturautonomie wieder herzustellen. So kam es mitten im Schuljahr zu einer räumlichen Trennung rumänischer und ungarischer Schüler, was viele rumänische Eltern mit Argwohn verfolgten. Als zum Jahrestag der Revolution von 1848 in Neumarkt auch noch ungarische Fahnen auftauchten, gingen die rumänischen Nationalisten zum Angriff über: Funktionäre, die ihre Vormachtstellung bedroht sahen, hatten sich in der Rumänischen Heimstätte zusammengeschlossen. Diese Organisation rief am 18. März ihre Anhänger dazu auf, gegen die Separationspläne der Ungarn Stellung zu nehmen. Dann wurde das Gebäude, in dem die Vertreter der ungarischen Minderheit tagten, von aufgebrachten Rumänen belagert. Obwohl der Präfekt den Ungarn freies Geleit mit einem Militärauto zugesichert hatte, bedrohte man sie nach Verlassen des Gebäudes und schlug auf sie ein. Am Tag darauf veranstalteten die Ungarn eine große Protestdemonstration. Die Vertreter der Rumänischen Heimstätte hatten zu ihrem Schutz rumänische Bauern mit Bussen aus der Umgebung nach Neumarkt kommen lassen. Die Spannungen zwischen beiden Volksgruppen entluden sich in einer Massenschlägerei — zurück blieben sechs Tote und etwa zweihundert Verletzte.Viele Menschen, die während des rumänischen Aufstands im Dezember 1989 ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, waren von den neuen Verhältnissen unter Iliescu enttäuscht. Kritiker der »Front« aus Temesvar forderten im März 1990, dass bei den Wahlen keine Funktionäre der Ära CeauÇescu kandidieren dürften. Diese »Proklamation von Temesvar« unterstützten auch die Studenten aus Bukarest, die sich im April auf dem Universitätsplatz zu einem wochenlangen spektakulären Dauerprotest zusammengefunden hatten, um eine weiter gehende Demokratisierung zu fordern. Der Universitätsplatz wurde zur »kommunistenfreien Zone« erklärt, und Hungerstreikende versuchten durch ihre Aktion die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass lediglich eine Minderheit der Bevölkerung hinter der »Front« stehe. Doch die Studenten wurden Lügen gestraft. Iliescu errang bei den Maiwahlen einen überwältigenden Wahlsieg und wurde mit einem Anteil von 86 Prozent der Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt. Auch im Parlament erhielt die »Front« mit 66 Prozent eine stabile Stimmenmehrheit; keine der anderen Parteien errang Prozentanteile im zweistelligen Bereich. Die Wahlsieger gingen nun hart gegen ihre nicht verstummenden Kritiker vor. Nach größeren Ausschreitungen mit mehreren Toten und einigen hundert Verletzten rief Iliescu am 13. Juni erneut Bergarbeiter nach Bukarest. Angeführt von Sicherheitsagenten und bewaffnet mit Knüppeln und Eisenstangen trieben sie die Besetzer des Universitätsplatzes auseinander. Auch zertrümmerten sie die Büros einiger der neu entstandenen Parteien. Die Gewaltaktion, von Iliescu zynisch als »eine Lektion in Demokratie« für die Bewohner Bukarests bezeichnet, rief im In- und Ausland Bestürzung hervor.Die Entwicklung nach 1991Gemessen an diesem gewalttätigen Auftakt verlief die Herrschaft der neuen Machthaber vorerst in ruhigeren Bahnen. Ihre Monopolstellung im Fernsehen sicherte ihnen lange die Kontrolle über die Bevölkerung. Die Kredite der internationalen Organisationen wurden hauptsächlich zur Subventionierung der maroden Großbetriebe verwandt. Dadurch blieb die Zahl der Arbeitslosen vergleichsweise gering und die Regierung bewahrte sich das Wohlwollen der Industriearbeiter. Doch in der neuen Machtelite begann der Streit zwischen den Konservativen und Reformern immer heftiger zu werden. Bei den Wahlen vom September 1992 war die »Front« bereits in zwei rivalisierende Lager aufgespalten. Iliescus Partei konnte mit 27 Prozent Stimmanteil nur noch eine knappe Mehrheit im Parlament verbuchen, die andere Partei erhielt 10 Prozent. Iliescus Mannschaft regierte nun mit Unterstützung der kleinen rechten Splitterparteien sowie der Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei. Die schärfste Opposition gegen die Regierung und ihre nationalistische Propaganda kam weiterhin aus den Reihen der ungarischen Minderheit. Ihre Vertreter wollten, dass die Ungarn in der neuen Verfassung als zweites »Staatsvolk« genannt würden. Dies verweigerte ihnen die Parlamentsmehrheit. Der neue Rumänische Informationsdienst stempelte daraufhin die Sprecher der ungarischen Organisation als Verfassungsfeinde ab. In seinen Berichten verleumdete er auch die Vertreter der Roma-Minderheit als »Nestbeschmutzer«, weil sie das Ausland über die Pogrome in Rumänien informierten — seit 1990 war es mehrmals zu Brandanschlägen, zum Teil mit Todesopfern, auf Siedlungen der Roma gekommen. Bei der Parlamentswahl im November 1996 verloren die Parteigänger Iliescus ihre parlamentarische Machtstellung. Als Präsident erhielt Iliescu zwar im ersten Wahlgang noch etwas mehr Stimmen als sein Gegenkandidat aus dem 1992 gebildeten Oppositionsblock Demokratische Konvention. Doch bei der Stichwahl siegte Emil Constantinescu mit 54 Prozent, weil ihn auch jene von der »Front« abgespaltene Partei unterstützte, die sich nun Union der Sozialdemokraten nannte. Die »Konvention« errang durch ihr populistisches Programm 30 Prozent der Stimmen des Abgeordnetenhauses. Sie versprach die schnelle Privatisierung aller Großbetriebe und gleichzeitig eine Verbesserung der Lebensstandards. Inwieweit es den neuen politischen Kräften gelingen wird, nun durchgreifende Reformen im Sinne des Aufbaus einer freien Marktwirtschaft anzugehen, lässt sich nur schwer prognostizieren. Die neue Regierung liberalisierte die Devisen- und Kapitalmärkte, um ausländischen Investoren entgegenzukommen. Es begann auch ein Umbau des Sicherheitsapparats, wodurch die zivile Gesellschaft erstmals die Möglichkeit bekam, sich voll zu entfalten. Die »Wende« in Rumänien hatte sich endgültig durchgesetzt.Dr. Mariana HausleitnerFrickenhelm, Gerd: Die rumänische Abweichung. Eine Beschreibung und Analyse ihrer Entstehung. Münster 1990.Gabanyi, Anneli Ute: Die unvollendete Revolution. Rumänien zwischen Diktatur und Demokratie. München u. a. 21990.Gallagher, Tom: Romania after Ceauescu. The politics of intolerance. Edinburgh 1995.Hausleitner, Mariana: Die sowjetische Osteuropapolitik in den Jahren der Perestrojka. Frankfurt am Main u. a. 1994.Mungiu, Alina: Die Rumänen nach '89. Sozio-politische Studie. Aus dem Rumänischen. Resita 1996.Oschlies, Wolf: Ceausescus Schatten schwindet. Politische Geschichte Rumäniens 1988-1998. Köln u. a. 1998.Der Sturz des Tyrannen. Rumänien und das Ende einer Diktatur, herausgegeben von Richard Wagner und Helmuth Frauendorfer. Reinbek 1990.Television - Revolution. Das Ultimatum des Bildes. Rumänien im Dezember 1989, herausgegeben von Hubertus von Amelunxen und Andrei Ujica. Aus dem Rumänischen. Marburg 1990.
Universal-Lexikon. 2012.